Virologin Melanie Brinkmann „Der Körper wird zur Viren-Fabrik“

Tanja Volz

Melanie Brinkmann ist eine Expertin, wenn es um Coronaviren geht. Sie hat schon die Bundesregierung in der Pandemie beraten. Die Professorin hat die Fragen einiger Kinderreporter und Kinderreporterinnen beantwortet.

Felix: Warum greifen uns Viren an?

Melanie Brinkmann: Viren können alleine nicht existieren – sie brauchen einen sogenannten Wirt, in dem sie sich vermehren können. Dieser Wirt kann bei manchen Viren der Mensch sein. Es gibt aber auch Viren bei Tieren, Pflanzen, Pilzen und sogar bei Bakterien. Angreifen wollen sie uns eigentlich gar nicht – aber wenn unser Körper große Mengen dieser Viren herstellt, kann dabei etwas kaputtgehen. Das geschieht entweder durch das Virus selbst, weil unsere Körperzellen zu Fabriken werden, die neue Viren herstellen und dabei kaputtgehen können. Oder unser Immunsystem, das versucht, die Viren zu bekämpfen, macht uns krank, weil es „zu viel des Guten“ macht.

Laura: Wie sind denn Viren entstanden?

Melanie Brinkmann: Das weiß man nicht genau, weil es schon so lange her ist. Eine Theorie besagt, dass am Anfang der Geschichte die sogenannte Ribonukleinsäure, kurz: RNA, der erste Schritt zur Entstehung von Lebewesen war. Viele Viren bestehen aus RNA – wir selbst haben auch ganz viel RNA in unseren Körperzellen, die wichtige Aufgaben hat.

Hannah: Und wie ist Corona entstanden?

Melanie Brinkmann: Coronaviren gibt es schon sehr lange in ganz vielen Tierarten und auch beim Menschen. Die Coronaviren entwickeln sich immer weiter, bekommen neue Eigenschaften. Es ist vermutlich so, dass dieses Coronavirus ursprünglich in Fledermäusen „zu Hause“ war. Und dann ist es dem Virus leider gelungen, von diesen Tieren auf den Menschen zu „springen“. Dazu kommt, dass es von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Und da wir Menschen so viel reisen und auf der ganzen Welt Kontakt miteinander haben, konnte es sich über die ganze Welt von Mensch zu Mensch verbreiten.

Victor: Die Virusvarianten werden immer ansteckender. Könnte es sein, dass man sich gegen eine Infektion gar nicht mehr schützen kann?

Melanie Brinkmann: Es ist tatsächlich schwer, der hochansteckenden Omikron-Variante aus dem Weg zu gehen, weil im Moment auch so viele Menschen gleichzeitig infiziert sind – die Wahrscheinlichkeit, mit einem Menschen in einem Raum zu sein, der das Virus gerade in sich trägt, ist hoch. Masken schützen uns immer noch gut, auch gegen Omikron, aber längerfristig wird sich wohl fast jeder mit dem Virus anstecken.

Hannah: Warum werden manche so schlimm krank, und manche haben keine Symptome?

Melanie Brinkmann: Dafür gibt es ganz verschiedene Gründe, etwa Vorerkrankungen, die das Immunsystem schwächen oder den Atemtrakt anfälliger machen. Ganz wichtig ist das Alter, je älter, desto mehr schwere Verläufe gibt es. Dann gibt es Faktoren wie Übergewicht oder Bluthochdruck, die eine Rolle spielen. Was viele nicht wissen: Es spielt auch eine Rolle, ob man mit viel oder wenig Viren infiziert wird, wir nennen das Virusdosis. Wenn die Infektion mit wenig Viren stattfindet, hat unser Körper mehr Zeit, sich zu verteidigen, und wir erkranken eher mild oder gar nicht.

Dana: Warum sagt man, dass Corona bei Kindern nicht so schwer ausfällt, obwohl immer mehr Kinder schlimmere Verläufe haben?

Melanie Brinkmann: Ziemlich früh in der Pandemie wussten wir schon, dass ältere Menschen ein viel, viel höheres Risiko haben, schwer zu erkranken, als Kinder. Das hat sich so auch bewahrheitet! Nun ist es aber so: Wenn sich ganz viele Kinder anstecken, dann gibt es am Ende auch mehr Kinder, die schlimmere Verläufe haben.

Julia und Cornelia: Gibt es Erkenntnisse zu Long-Covid, also Langzeitfolgen, bei Kindern?

Melanie Brinkmann: Bisher wenig, aber auch Kinder können an Long-Covid erkranken. Zum Glück viel, viel seltener als Erwachsene – je jünger die Kinder, desto seltener. Das muss noch viel besser erforscht werden, damit den betroffenen Kindern geholfen werden kann. Wichtig ist, dass man die Kinder ernst nimmt und nicht sagt: „Nun stell dich mal nicht so an.“ Gute Nachricht: Die Impfung schützt auch vor Long-Covid, das heißt, wenn man geimpft ist, ist es viel unwahrscheinlicher, an Long-Covid zu erkranken.

Victor: Ist eine Impfung gegen das Coronavirus auch für kleine Kinder sinnvoll?

Melanie Brinkmann: Ja, das ist sie. Die meisten geimpften Menschen sind vor schwerer Erkrankung geschützt, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie andere Menschen anstecken, ist auch geringer. Am wichtigsten ist bei der Entscheidung aber, dass die Impfung sicherer ist, als sich mit dem Virus anzustecken, ohne vorher geimpft zu sein.

Victor: Wie lange wirkt die dritte Impfung? Werden sich die Menschen künftig jedes Jahr mindestens einmal impfen lassen müssen?

Melanie Brinkmann: Sie wirkt viele Monate, hoffentlich Jahre gegen schwere Erkrankung. Ein Schutz vor Ansteckung besteht nicht so lange, nur ein paar Wochen. Menschen mit hohem Risiko für eine schwere Erkrankung wie ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen brauchen vermutlich häufiger eine Impfung. Das wird sich in den nächsten Monaten zeigen.

Julia und Cornelia: Kann Corona irgendwann einmal zu einer „normalen“ Viruserkrankung werden wie ein grippaler Infekt?

Melanie Brinkmann: Für die meisten Menschen ist es das zum Glück schon, weil wir durch die Impfung einen Schutz, die sogenannte Immunität, gegen das Virus aufgebaut haben. Für Menschen, die diesen Schutz nicht ausbilden können oder bei denen der Schutz über die Zeit nachlässt, bleibt das Virus leider noch gefährlich.


Was machen Virologen? Was macht denn eine Virologin, und wie wird man das überhaupt – auch das hat die Kinderreporter interessiert, und die 48-jährige Professorin von der Technischen Universität Braunschweig und Mutter von drei Söhnen hat es erklärt: „Virologen versuchen herauszufinden, wie genau Viren ‚leben‘ und uns krank machen. Dazu gehört zu verstehen, wie sie in den Körper eindringen, etwa über die Luft, den Speichel, oder das Blut, in welchen Organen sie sich vermehren oder einnisten, wie unser Immunsystem auf sie reagiert und wie wir die Viren wieder an unsere Umwelt abgeben. Virologen versuchen auch, Impfstoffe zu entwickeln oder neue Medikamente zu finden, die die Viren bekämpfen.“ Es gebe mehrere Wege, um Virologe oder Virologin zu werden, sagt sie. Man könne Medizin studieren oder Biologie. Eine wichtige Voraussetzung sei, dass man viele Jahre an Viren forsche. „Ich habe Biologie studiert und forsche seitdem an Viren und dem Immunsystem. Durch die Pandemie können die meisten jetzt viel mehr mit diesem Beruf verbinden – was gut ist, denn es gibt noch viele andere Viren, über die wir Virologinnen berichten können und vor denen man sich dann auch besser schützen kann.“