Merkel-Doppelgängerin „Bei einem Treffen könnten wir Rezepte tauschen“

Tessa Hartwig

Wenn Angela Merkel ihr Amt niederlegt, beginnt auch für Ursula Wanecki der Ruhestand. Sie ist Deutschlands gefragtestes Merkel-Double: Bei Fototerminen, Geburtstagen oder für Fernsehsendungen imitiert sie die Kanzlerin. Im Interview verrät sie, woran die Menschen erkennen, dass sie nicht die echte Merkel ist.

Wirst du oft mit der Kanzlerin verwechselt, auch wenn du nicht verkleidet bist?

Ursula Wanecki: Jeden Tag mindestens einmal. Auch, wenn ich Kleider oder Röcke trage, die die Kanzlerin nie trägt. In Berlin passiert das die ganze Zeit. Da erwarten die Menschen auch eher, die Kanzlerin zu sehen, als ein Double. In dem Ort, in dem ich wohne, kennen mich die meisten und nennen mich sogar schon „Angie“. Wenn ich einkaufen oder arbeiten gehe, wünscht mir hier gerade jeder einen guten Ruhestand.

Wie lange dauert es etwa, bis die Leute merken, dass du nicht Angela Merkel bist?

Ursula Wanecki: Das dauert genau so lange, bis ich anfange zu reden (lacht). Ich bin in Polen geboren und habe immer noch einen osteuropäischen Akzent. Wenn sich die Leute dann wundern und es langsam merken, sage ich oft: „Oh, da habe ich heute wohl zu lange mit Putin, dem russischen Präsidenten, telefoniert, da hat doch direkt sein Akzent auf mich abgefärbt.“

Bekommst du Geld für das Doppelgänger-Sein?

Ursula Wanecki: Ja, ich verdiene Geld damit, aber nicht viel. Dafür darf ich meistens umsonst reisen und kann in schönen Hotels wohnen. Ich weiß, dass man mit dem Doppelgänger-Beruf auch viel mehr Geld verdienen kann. Aber dann muss man jeden Auftrag annehmen und sich zum Beispiel in Videos über die Person lustig machen. Das wollte ich nie. Ich mag Merkel ja.

Wärst du auch ihr Double geworden, wenn du sie und ihre Politik nicht gut finden würdest?

Ursula Wanecki: Das kann ich natürlich nicht hundertprozentig sagen, aber ich glaube nicht. Ich hatte immer großen Spaß an der Arbeit, vor allem, weil ich Angela Merkel und auch ihre Politik gut finde. Für mich ist sie eine starke Frau, ein Vorbild.

Hast du noch andere Gemeinsamkeiten mit der Kanzlerin, abgesehen vom Äußerlichen?

Ursula Wanecki: Ich kenne sie nicht persönlich, aber ich glaube, wir wandern und kochen beide gerne. Außerdem sind wir beide geduldig und pflichtbewusst. Und wir regen uns wenig auf, wenn es sowieso nichts hilft.

Du hast Angela Merkel also noch nie getroffen?

Ursula Wanecki: Nein, ein Treffen war geplant, aber dann kam der Kanzlerin etwas dazwischen. Einmal habe ich sie auf einer Veranstaltung gesehen. Aber da noch viele andere Menschen dort waren, habe ich mich verkleidet, damit ich nicht enttarnt werde. Dann hätten sich sicher alle aufgeregt, und es hätte ein großes Chaos gegeben. Ich hoffe, es wird jetzt klappen, wenn sie das Kanzleramt verlassen hat.

Worüber würdet ihr euch unterhalten?

Ursula Wanecki: Bestimmt würden wir ein paar Selfies zusammen machen. Aber wir hätten sicher auch viele Gesprächsthemen. Ich würde sie erst einmal fragen, wie es ihr geht nach all den Jahren jetzt im Ruhestand. Und dann könnten wir vielleicht Rezepte austauschen. Sie kocht angeblich gute Kartoffelsuppe.

Hast du dich sonst schon einmal anders verkleidet, um nicht erkannt zu werden?

Ursula Wanecki: Einmal gab es eine Demonstration in Berlin und ich musste am selben Tag in die Hauptstadt für einen Fernsehdreh. Aus Angst habe ich mich dick in Winterklamotten eingepackt, mit langem schwarzem Mantel, Schal und Mütze. Außerdem habe ich mich extra nicht geschminkt. Ich dachte, so bin ich sicher. Dann komme ich am Bahnhof an, will in ein Taxi steigen und der Fahrer fragt: „Wo geht’s denn hin, Frau Merkel?“

Wenn du einen Tag Kanzlerin sein könntest, was würdest du machen?

Ursula Wanecki: Ich beschäftige mich so lange mit Politik. Ich weiß, dass man an einem Tag nichts bewirken kann. Deshalb würde ich mir das Kanzleramt ganz genau anschauen und mich im großen Büro der Kanzlerin breitmachen. Da würde ich den Ausblick auf die Spree genießen und schauen, wie die Schiffe vorbeifahren. Dann würde ich alle Politiker und wichtigen Gäste zusammentrommeln und gemeinsam an einem Tisch versammeln.

Wir könnten essen und uns unterhalten. Würdest du tauschen, wenn du könntest?

Ursula Wanecki: Niemals. Auf der offiziellen Homepage der Bundeskanzlerin kann man ihren Terminkalender einsehen. Das mache ich oft, um auf dem Laufenden zu bleiben. Manchmal frage ich mich dann, ob unsere Kanzlerin überhaupt schläft.

Nicht jeder ist Merkel-Fan. Gibt es auch schlechte Seiten an deinem Nebenjob?

Ursula Wanecki: Ja, die gibt es leider. Es gibt immer wieder Zeiten, da schlägt mir viel negative Stimmung entgegen, zum Beispiel 2015 während der Flüchtlingskrise oder jetzt kürzlich in der Coronapandemie. Wenn ich dann in Berlin als Merkel unterwegs war, wurde ich öfter von der Seite aus beleidigt oder mir wurde hinterhergeschrien. Seit ich das zum ersten Mal erlebt habe, bin ich auch vorsichtiger geworden. Ich laufe nicht mehr zu nah an der Straße, damit mich kein Auto anfährt, und drehe mich auf der Rolltreppe immer nach hinten, damit mich keiner schubst. Das klingt verrückt, aber man weiß ja nie.

Was wird sich für dich jetzt verändern, wenn ihr beide in den Ruhestand geht?

Ursula Wanecki: Ich muss mir die berühmte Raute abgewöhnen, die ich für Fotos und Fernsehsendungen immer machen musste. Und ich werde mir endlich wieder die Fingernägel lackieren. Angela Merkel macht das nie und besonders für die Raute mussten meine Nägel sichtbar sauber sein. Jetzt möchte ich bunte Farben ausprobieren.

Wirst du auch deine Frisur verändern?

Ursula Wanecki: Die Frage bekomme ich oft. Da fühle ich mich fast ein bisschen beleidigt (lacht). Das ist schon immer meine Frisur gewesen, schon bevor Merkel Kanzlerin wurde. Deswegen behalte ich die auch.


Ursula Wanecki ist 65 Jahre alt und lebt in Attendorn im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Als Merkel-Doppelgängerin ist sie aber in ganz Deutschland und ab und zu im Ausland unterwegs. Neben ihren Auftritten als Bundeskanzlerin arbeitet sie als Steuerfachangestellte und verbringt gerne Zeit mit ihren Kindern und ihren zwei Enkeln. Die waren es auch, die ihre Ähnlichkeit zur Kanzlerin entdeckt haben: Als die Familie im Auto an Wahlplakaten von Angela Merkel vorbeifuhr, wunderten sich Ursulas Enkel, warum denn Oma auf all den Postern zu sehen sei.